05 05

Ich habe mich selbst verlassen – lange bevor ich ging.

Schmerz gespürt.
Eine Schwere in den Knochen.
Ein leises, sehnsüchtiges Ziehen in den Sehnen.
Unruhe in der Brust.

Zuerst dachte ich an die fehlende Verbindung – an den Verlust meiner Partnerin, dieser großen Liebe in meinem Leben.
Doch als ich tiefer lauschte, erkannte ich:
Ja, da war Trauer über einen Menschen.
Aber darunter lag ein viel tieferer Schmerz:
der Verlust der Verbindung zu mir selbst.
Ein Fehlen im Raum.
Eine innere Leere.

Ich erinnerte mich an die Version von mir selbst, die ich vor zwei, drei Wochen war.
Für viele ein Wimpernschlag – für mich ein halbes Leben.
Damals fühlte ich mich erdrückt von der Welt.
Von all den Erwartungen, die ich an mich selbst stellte.
Von den Bildern, in die ich mich zwang, weil ich glaubte, nur so sei ich richtig.
Ein Mario, der sich selbst unter Druck setzte –
der sich selbst durch Liebe erdrückt fühlte.

Einerseits lechzend nach Nähe.
Andererseits unfähig, das Gefäß so weit zu öffnen, dass alles darin Platz findet.

Ich glaubte, ich müsste allem gerecht werden.
Ich müsste es richtig machen.
Stark sein.
Gerecht.
Liebend.
Ich glaubte, so wie ich bin, sei ich falsch.
Dass es Anteile gibt, die verschwinden müssten – am besten sofort.
Schon damals spürte ich den massiven Widerstand.
Aber ich konnte ihn nur bewerten, nicht halten.

Dann kam der Moment.
Ich fühlte, dass ich gehen muss.
Mich trennen, jetzt – von der Verbindung, die ich so sehr liebte.
Von der ich glaubte, sie sei meine Erfüllung.

Und ich ging.
Nicht aus Feigheit.
Sondern aus einem Impuls, der mein Überleben sichern sollte.
Ich konnte nicht mehr.
Ich war am Ende.
Ich spürte in mir den Drang zu heilen –
und wusste zugleich, dass es so nicht ging.

Doch mit diesem abrupten Ende habe ich schwer verletzt.
Sie.
Mich.
Vielleicht tiefer, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Und heute Morgen konnte ich es sehen.
Ich konnte sie sehen.
Ich konnte ihren Schmerz spüren.
Ihre Verwirrung.
Den Schock.
Die unendliche Trauer.
Und all das Leid.

Und ich sah: meine Verantwortung.
Nicht Schuld. Verantwortung.
Denn Schuld lähmt. Verantwortung heilt.

Früher hätte ich gesagt, ich habe mich selbst verraten.
Heute sehe ich: Ich habe mich nicht absichtlich von meiner Wahrheit getrennt.
Ich glaubte, es sei meine Pflicht.
Ich habe mich selbst verlassen –
lange bevor ich sie verließ.

Dann kam der Moment der Heilung.
Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper.
Tränen schossen mir in die Augen.
Ein kalter Schauer.
Mein Herz bebte.
Mein Brustkorb weitete sich.
Meine Stimme brach – nur um im nächsten Atemzug wieder fester zu werden.

Ich begann, mir zu vergeben.
Echt.
Wahrhaftig.
In meinem Tempo.

Ich sah.
Ich verstand.
Ich begriff:
Ich konnte es damals nicht anders.
Und wenn ich es gekonnt hätte –
ich hätte es anders gemacht.
Dazu stehe ich jetzt.

Von da an konnte ich mich selbst sehen.
Ein weinender Junge kauert in der Ecke.
Die Augen gerötet, die Wangen feucht.

Ich lächle mich an.
Ich gehe behutsam auf mich zu.
Nehme mich in den Arm.
Halte mich.
Spüre mich.
Atme.
Bin.

Heute vergebe ich mir.
Heute vergebe ich ihr.
Heute vergebe ich dem Leben.

Ich vergebe auch allen,
die dasselbe durchlebt und weitergegeben haben –
weil ich heute sehe, verstehe und begreife:
Auch sie konnten nicht anders.

Vom Ursprung, über das Jetzt, bis in die Unendlichkeit:
Ich entscheide mich, ab jetzt anders zu handeln.

Ich bleibe bei mir.
In meinem Gefühl.
In meinem Ausdruck.
In meiner Wahrheit.

Ich lasse mich nicht mehr kleinmachen –
weder von äußeren Stimmen,
noch von inneren, die sich als Außen tarnen.

Ich bleibe gelassen in meinem Raum.
Ich akzeptiere ihn.
Ich liebe ihn –
denn es ist meiner.

Ich betrete den Raum anderer nur bewusst –
nicht, weil ich gezogen werde.
Nicht aus Angst.

Sondern mit Achtsamkeit.
Mit Leidenschaft.
Mit Liebe.

Ich habe erkannt, was ich wirklich suche.
Und dass das, was ich brauche,
nicht immer dem entspricht,
was andere für „wichtig“ halten.

Und vielleicht liest du das hier.
Oder du hörst es.

Und da regt sich etwas in dir.
Ein verletzter Teil.
Ein klagender.
Ein verängstigter.
Ganz leise.

Er lauscht.
Er spürt:
Hier ist Verbindung.

Der Teil, der sich im Kreis dreht.
Der sucht, ohne zu finden.
Der nicht weiß, wohin – und sich verloren fühlt.

Dann lade ich dich ein:
Schließ für einen Moment die Augen.
Lausche.
Spür dich.

Vielleicht erhaschst du einen Blick
auf dein verletztes Kind.
Auf die Anteile in dir,
die so oft nicht anders konnten.

Vergib dir.

Denn jetzt trifft das Ende und der Anfang aufeinander.
Und vielleicht –
beginnt genau hier
etwas Neues.

Worte, die dich finden – genau dann, wenn du sie brauchst.